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Kein Wasser Für Solomo Ra
Die Nachmittagssonne
hängt als bedrohliche, feurige Kugel an diesem, von keiner Wolke befleckten
stahlblauen Himmel. Der glühend heisse Wüstensand versucht die letzten
Hautfetzen meinen Fußsohlen zu entreissen. Und der schneidende Wind hat
es bald geschafft, meine Kleidung vollends zu zerfetzen. Meine geschwollenen
und zerplatzten Lippen sehnen sich gepeinigt nach heilendem Wasser. Wieder einmal
quäle ich meinen Körper eine dieser Dünen hinauf, wie ich ihn
schon unzählige Dünen zuvor hochquälte. Nur um wieder neue Dünen
und endlose Wüste, ohne Hoffnung auf diese rettende Essenz 'Wasser', zu
entdecken. Erschöpft, mit müden, schmerzenden Gliedern und stechender
Lunge, tränenden Augen und hämmernden Ohren, lasse ich mich auf den
grobkörnigen Sandboden sinken. Mein einziger Gedanke, nein, brennender
Wunsch ist, in in diesem Meer zu versinken. Einfach vom Boden verschluckt werden.
Erlösung von meinen Qualen. Doch alles was geschieht ist, daß ich
zusehen muss wie meine tränenden Augen Tropfen in den Sand entlassen, welche
kaum den Boden berühren, sofort verdampfen. Hilfloser Zorn packt mich.
Jeden Tropfen der lebensspendenden Flüssigkeit den ich verliere bringt
mich meinem Ende näher. Irgendwann wird man einen Menschen in der Wüste
finden, und wenn man ihn berührt wird er zu Staub zerfallen, eins werden
mit dem Sand. Wie vielleicht schon Abertausende vor ihm. Oder er wird vom Wind
ans blaue Meer getragen, zur letzten Ruhe. Das Blau des Meeres, das Blau des
Himmels und dazwi- schen dieses mörderische Feuer. Die Sonne verbrennt
meine letzten, mittlerweile strähnig, strohigen Haare, läd sie mit
Hitze und Glut auf, die bis zu den Haarwurzeln reicht um dort meine Kopfhaut
zu verdampfen. So wie es schon mit meinem Gehirn passiert zu sein scheint. Jetzt
erst bemerke ich, daß mein Peiniger nur noch als riesiger Feuerball am
Horizont liegt. Die gleißenden Strahlen werden kraftloser und können
mich nicht mehr erreichen. Langsam versinkend greift sie noch ein letztes Mal
mit ihren Armen nach mir. Doch sie ertrink im endlosen, staubigen Sand, ohne
mir noch etwas anhaben zu können. Der Kampf gegen die Hitze des Tages ist
vorbei. Noch bin ich Sieger. Doch mein Feind wird immer mächtiger. Jetzt
ausruhen. Aber selbst diese milde Stunde, in welcher das Klima angenehmer wird,
kann ich nicht genießen. Denn jetzt kommen die Tiere der Nacht aus ihren
Löchern, tief in der Erde, gekrochen um die verblassenden Sonnenstrahlen
auszunutzen. Ich muss auf der Hut sein. Für so manch giftige Tier währe
es ein leichtes mich jetzt zu erledigen. Trotzdem. Von den Strapazen des Tages
entkräftet döse ich dahin. Und sammele die Energie die ich für
einen neuen mächtige Gegner brauche, der schon leise um die Dünen
schleicht. Die Kälte der Nacht. Kaum, daß sich die ersten Lichter
der Sterne durch das kristallene Blau des Nachthimmels gekämpft haben,
kriecht sie langsam näher, um mich zu fangen, mich zu umschließen.
Erst schwach, dann mitzunehmender Brutalität führt sie ihre Attacken.
Mit den schneidenden Krallen des Winds als Verbündeten fällt sie mir
wie ein Raubtier in die Seite, um mir mit ihren eisigen Pranken ganze Fleischstücke
aus dem Leib zu reissen. Wehrlos bin ich diesen Torturen erlegen. Erlegen auch
der Müdigkeit. Und so schlafe ich, zu Eise erstarrt, zwischen diesen tobenden
Bestien, die immer und immer wieder frostig und heulend auf mich einschlagen,
ein.
Die ersten Strahlen des Morgens wecken mich und ich erhebe mich aus dem allesbedeckenden
Sand, der mich fast unter sich begraben hätte. Verschwunden sind die Geister
der Nacht. Der Wind bläst mir sanft ins Gesicht und umspielt meine Haare.
Ich bin glücklich wieder einen Tag, eine Nacht, überstanden zu haben.
Voller Lebensmut sehe ich in die Ferne. Jetzt erst bemerke ich die Gestalt,
die direkt vor mir im Sand kauert. Ein uralter Mann dessen Schädel von
ledriger Haut umspannt wird. Schneeweißes Haar umrahmt das asketische
Gesicht des Alten, der mich mit neugierigen aber scharfen Augen mustert. Die
ausgemergelten Züge des Alten ringen sich ein verzerrtes, zahnloses Lächeln
ab. Noch bevor ich etwas sagen kann streckt der Alte seine knöcherne Hand
aus und sagt mit kratzender Stimme: "Wasser, Fremder! Bitte gib mir Wasser!"
Oder hörte ich die Worte, ohne daß er seine Lippen bewegte? Trotz
meiner offensichtlichen, schlechten Lage verlangt dieser Wahnsinnige Wasser
von mir. Dies kostet mich ein Lachen. Doch der Greis wiederholt seine Worte:
"Fremder, gib mir Wasser. Ich habe Durst!" Wieder bin ich mir nicht
sicher ob er dabei die Lippen bewegt. Zorn steigt in mir auf und ich brülle:
"Wahnsinniger! Woher soll ich denn hier Wasser haben! In diesem verfluchten
Land!" Der Greis blieb gelassen und antwortet:"Dieses verfluchte Land",
wobei er 'verfluchte' seltsam betont, "ist meine Heimat, lieber Fremder.
Und bitte gib mir doch etwas Wasser." Er hält mir einen kleinen, abgenutzten
Kelch entgegen, der wegen des scheuernden Wüstensandes nur noch matt schimmert.
Verwundert nehme ich den Kelch und schaue den Alten dabei fragend an. Dieser
erkennt meinen Blick und zeigt mit seinen dürren Fingern in den Sand. "Wasser!",
kommentiert er mit verlangender Stimme. Mürrisch stosse ich den Kelch in
den Sand und gebe ihn, randgefüllt mit dem körnigen, staubigen Inhalt,
dem Alten, der gierig danach greift und sich ebenso gierig den Inhalt in die
Kehle schüttet. Sichtlich zufrieden und mit einem Seufzer setze er ab und
leckt sich die Lippen. Mein Verstand scheint auszusetzen. Kann ich glauben was
ich eben sah? Mit einem Ruck entreisse ich dem Alten den Kelch und stosse ihn,
wie von Sinnen, tief in den Boden, setze an und nehme einen großen Schluck.
Ich spüre wie der grobkörnige Sand mir den Gaumen zerfetzt und mir
die Speiseröhre verklebt. Mit einem erstickten Schrei schleudere ich den
Kelch weit von mir und suche, mit den Augen vor Schmerz zusammengekniffen, das
Gesicht des Alten. Aber er ist nicht mehr da. Verschwunden. Was bleibt sind
die Schmerzen und ein hämisches Kichern. Schnappe ich jetzt über?
Habe ich mir das alles nur eingebildet? Selbst das Kichern wird wieder vom Wüstenwind,
der leise durch die Dünen pfeift, übertönt. Und bald hört
auch der Wind auf zu blasen, sodaß man nur noch die flirrende, knisternde
Hitze zu hören glaubt. Lange sitze ich so da und lausche in die Ferne,
in der Hoffnung, der Alte möge zurückkehren. Aber alles was geschieht
ist, daß die Sonne ihre Bahn am Firmament kriecht. Jetzt erst kommt der
Kelch mir wieder ins Gedächtnis. Die Existenz dieses Bechers wäre
der Gegenbeweis für meinen beginnenden Wahnsinn. Wie Irre durchwühle
ich den Sand. Mit wunden Händen gebe ich die Suche auf. Der Sand scheint
ihn verschluckt zu haben, vom Wind zugeschüttet, von der Sonne verglüht.
Verzweiflung macht sich in mir breit. Wieder begebe ich mich auf die Suche nach
Wasser. Ein zielloses, orientierungsloses umherstolpern in der Wüste. Ich
bin ein Staubkorn im Meer. Mein Kopf dröhnt. In meinen Ohren ein schmerzend
lautes Hämmern, Metall auf Metall. Durch meinen schon stark verschleierten
Blick entdecke ich etwas fremdes, großes. Zum greifen nah. Aber ich vermag
es nicht zu erkennen. Ist dies der Tod, der mich holen will? Eine Vision? Halluzination?
Ich spüre wie mich die Kräfte verlassen. Ich taumle, bereite mich
vor. Das Ding winkt mir zu. Ich lasse mich in seine Arme sinken. Wieso hält
es mich nicht fest, wieso falle ich? Ich packe zu. Ich falle...
Der Sturz macht meinen Kopf klarer. Jedensfalls klar genug um zu erkennen, daß
ich ein Palmenblatt in meinen zerschundenen Fingern halte. Meine Gedanken wirbeln.
Palme... Pflanzen...Oase...Wasser!! Sollte ich dem Tod in letzter Sekunde entkommen
sein? Ich krieche in die grüne Vegetation und entdecke einen glitzernden
See. In seinem Spiegelbild erkenne ich mein Gesicht zur Maske verzerrt. Zerkratzt,
geschwollen und verbrannt, aber am Leben. Jetzt, angesichts dieses Überflusses,
sind alle Schmerzen vergessen. Ich stehe auf und mit einem anstrengen Satz springe
ich Kopfüber in den See. Hart schlage ich auf dem Sand auf. Schmerz lähmt
meinen Körper, der beginnt im Sand zu versinken. Mit jeder Bewegung sinke
ich tiefer. Ich schreie, schreie bis ich ganz untertauche. Ein stechen in der
Brust, ein pochen im Kopf...
...Mein Geist, meine Seele löst sich vom toten Körper. Ich fühle mich federleicht und schwebe nach oben. Nach oben, ja. Dem Himmel entgegen. Nach oben und lasse alle Schmerzen da unten zurück. Noch einmal drehe ich mich um. Da erkenne ich den alten Mann wie er meiner leblosen Hülle den Kelch entreisst. Den Kelch den ich nie hätte finden können. Grinsend winkt er mir zu und hält den Kelch nach oben. Mein Schweben stoppt. Ich fühle, wie ich mit rasender Geschwindigkeit auf den Kelch zufliege, der mich dann aufsaugt. Meine Seele trinkt. Ein Schmerz trifft mich, nochmal und nochmal und nochmal und....
Mit einem entsetzten
Schrei zucke ich aus dem Schlaf. Verwundert schaue ich mich um. Ich lebe noch.
Ich sitze immernoch auf der Düne auf der ich gestern eingeschlafen bin.
Mit einem erleichterten Lachen streife ich den letzen Schrecken dieses Traumes
von mir ab. Doch jetzt erst höre ich das Kichern hinter meinem Rücken
und eine kratzige Stimme die vertrauten Worte sagen: "Fremder, gib mir
Wasser!"