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Der Fischer
Portriccio Binelli war ein Mann von einundzwanzig
Jahren und er lebte mit seiner Familie in einem kleinen Fischerdorf. Er war
Fischer, wie sein Vater und dessen Vater vor ihm. Jeden Tag fuhr er mit seinem
kleinen Boot in die See und warf seine Netze aus. Aber in den letzten Wochen
wurden die Fänge immer spärlicher. Auch die anderen Fischer beklagten
sich, daß sie nur noch wenig zu essen hatten. Manche kehrten garnicht
mehr zurück. Niemand wußte was mit ihnen geschehen war. Aber die
Weiber klatschten, daß der Herrscher der See sie als Opfer zu sich genommen
hätte. So machte Portriccio Binelli sich wieder einmal bereit in See zu
stechen. Seine Liebste hatte ihm einen Zweig am Bug befestigt, wie sie es immer
tat. Dieser Zweig sollte den Fischern eine sichere Reise und einen guten Fang
bescheren. Aber Portriccio hatte wenig Hoffnung, daß er heute viele Fische
nach Hause bringen würde.
So segelte er im Morgengrauen in die Fluten und wußte nicht, daß
heute ein besonderer Tag werden sollte. Weit draussen warf er seine Netze aus
und wartete. Ab und zu zog er sie etwas ein um zu schauen, ob er schon etwas
gefangen hatte. Aber kein einziger Fisch hatte sich im Netz verfangen. Betrübt
wartete Portriccio weiter. Die Sonne zog ihre Bahn am Himmel und er wartete.
Und während er so wartete machte er sich Gedanken darum, weshalb die Fische
ausblieben. Plötzlich spürte er Spannung am Netz. Was war das? Mit
beiden Händen zog er sein Netz ein, aber er konnte es nicht halten. Da
mußte wohl ein großer Brocken drinn sein. Mit aller Kraft kämpfte
Binelli und zog sein Netz mehr und mehr an Bord, bis er einen mächtigen
Körper unter Wasser erkennen konnte. Es war kein Fisch, sondern eine menschliche
Gestalt. Portriccio lief es kalt den Rückenhinunter.
"Mamma mia, habe ich eine Leiche gefischt?", stieß er hervor.
Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn als er den Körper
an Bord zog. Mit einem dumpfen Schlag krachte er von der Reling auf das Deck.
Kalte Augen starrten aus verquollenen Augenhöhlen. Die Finger hatten sich
im Netz verkrampft. Hastig schnitt Portriccio das Netz mit seinem Fischmesser
auf. Der Körper lag nun befreit auf den nassen Planken und Binelli schwitzte,
obwohl die Sonne sich hinter dicken Regenwolken versteckte, was den Leichnam
in ein gespenstisches Licht warf. Ein kalter Wind blies über die ruhige
See. Portriccio dachte fieberhaft nach. Was sollte er denn jetzt tun? Er hatte
noch keinen Fisch gefangen. Sollte er nach Hause segeln um den Vorfall zu melden.
Nein. Das hatte auch noch bis Morgen Zeit. Einen Tag mehr oder weniger spielte
für den Toten auch keine Rolle mehr. Das dachte er sich, zuckte mit den
Achseln und warf ein neues Netz aus. Die Zeit verstrich und Portriccio fühlte
sich immer unbehaglicher und fuhr des öfteren herum. Doch der Tote lag
immer noch zusammengekrümmt da und seine durchweichte Kleidung trocknete
allmählich. Als es zu dunkel wurde zog der Fischer seine Netze wieder ein.
Kein Fisch war darin.
Binelli segelte wieder in den Hafen des kleinen Fischerdorfes und der Geruch
der Leiche fiel ihm jetzt penetrant auf. Öfters würgte er, wenn der
Ekel ihm den Magen umdrehte. Schließlich sah er die trüben Lichter
seines Dorfs. Er überlegte sich, was er zu Adretti, dem Dorfmeister sagen
sollte. Automtisch legte er an, machte das Boot fest. Dann sah er noch einmal
nach dem Leichnam. Das Licht der Facklen, die am Steg befestigt waren, flackerte
in den kalten, glasigen Augen. Portriccio bekam Angst und rannte zum Haus von
Adretti. Dieser machte große Augen als er die Geschichte des jungen Fischers
hörte. Sofort gingen sie, unter Begleitung von zwei starken Knechten Adrettis
und dessen Karren zum Hafen. Sie erreichten das kleine Boot und mit einer Gänsehaut
stiegen sie hinein. Portriccio wartete am Steg. Da sagte Adretti verärgert:
"Wo ist er denn nun? Porco Dio, was erschreckst du uns mit so einer Gespenstergeschichte.
Als hätten wir nicht schon Sorgen genug. Das nächste mal wenn du einen
'Toten' fischst kannst du ihn ja auf dem Markt verkaufen." Portriccio sprang
entsetzt an Bord und zeigte auf die feuchte Stelle an der der Körper gelegen
hatte. "Hier hat er gelegen Adretti. Ich schwöre es, bei der Heiligen
Jungfrau Maria." Adretti richtete sich drohend auf."Schwöre nicht,
mein Junge." Damit stieg er aus dem Boot und ging mit seinen Knechten und
dem Karren zurück ins Dorf. Portriccio stand verunsichert auf seinem Boot
und stammelte noch leise: "Aber hier hatte er doch gelegen." Dann
schlich er nach Hause zu seiner Familie die ihn schon erwartete. Als er sich
müde auf seinen Schemel fallen lies sagte er nur, daß er heute nicht
einmal einen einzige Fisch gefangen hatte. Den Toten verschwieg er. Hungrig
ging er bald zu Bett, weil er am Morgen noch früher hinausfahren wollte
als heute. Bald schlief er ein. Dann wachte er auf. Ein fauliger Geruch hing
in seiner Kammer. Portriccio rümpfte sich die Nase. Er stand auf um das
Fenster zu öffnen, doch dann sah er, daß es schon weit offen stand.
"Vielleicht liegt ein fauler Fisch unter dem Fenster", dachte er sich
und schloss es. Dann drehte er sich um und wollte wieder ins Bett steigen. Doch
vor ihm stand ein großer Mann in zerfetzter Kleidung. Er starrte durch
Portriccio mit seinem gläsernen Blick hindurch. Er öffnete seinen
Mund und ein fauler Gestank entwich ihm. Portriccio stand starr vor Entsetzen.
Er bekreuzigte sich schnell. Der Leichnam begann zu sprechen und ein schleimiges
Rinnsal floß ihm aus dem Mund: "Danke junger Freund, daß du
mich aus dem kalten Wasser gerettet hast. Ich glaube ich wäre sonst ertrunken.
Lass dich Küssen." Der Tote beugte sich vor und presste seine Lippen
auf den Mund des blassen Portriccio. Portriccio war der Ohnmacht nahe als er
die verquollenen, wässrigen Lippen auf den seinen spürte. Aber er
konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Eine eisige Kälte blieb auf seinem
Mund als sich der Mann wieder von ihm löste. Und diese Kälte verbreitete
sich in seinem ganzen Körper. Dann spürte er etwas seinen Körper
umschließen, aber er konnte es nicht sehen. Er krampfte seine Finger in
diese unsichtbaren Fesseln aber konnte sie nicht zerreissen. Der Mann trat einen
Schritt zurück und lächelte freundlich. "Lebt wohl, junger Mann
und nochmals Danke." Portriccio saß zusammengekrümmt in den
unsichtbaren Fesseln gefangen. Er glaubte wie schwerelos zu schweben, als würde
er von seinen Fesseln nach oben gezogen. Die Zimmerdecke bewegte sich verschwommen
und er kam ihr langsam näher. Dann stiess er durch sie hindurch und erblickte
den Rumpf eines Schiffes. Langsam wurde er hochgezogen und erkannte einen Fischer
aus seinem Dorf. Dieser wich mit aufgerissene Augen zurück. Portriccio
wollte schreien, wollte sich losreissen, aber er konnte nicht. Der Fischer bekreutzigte
sich und sagte entsetzt: "Mamma Mia. Ich habe eine Leiche gefischt."