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DAS ELBENBUCH 3
Bofur, Halfindel
und Radagast standen verzweifelt vor der einsamen Hütte in der weiten Ebene
von Mordor. Der Wind pfiff ihnen um die Beine und wehte Ballen abgestorbenen
Gebüschs an ihnen vorbei. In der Dunkelheit konnten sie noch nicht einmal
die Spuren ihrer gestohlenen Pferde ausmachen. Keiner der Drei sprach ein Wort,
wußte doch jeder von ihnen, daß sie verloren waren. Ohne jede Hoffnung
ihre Pferde oder das wichtige Buch jemals wieder zu sehen. Bofur ließ
sich resignierend auf den staubigen Boden fallen und seufzte tief, als Radagast
in seinem wallenden Gewand zu kramen begann. Bofur sagte: "Wir müssen
bis Morgen warten! Dann könnten wir sie zu Fuß verfolgen. Aber ich
habe wenig Hoffnung, daß wir sie jemals einholen werden. Bei diesem Wind
werden in wenigen Stunden ihre Spuren verwischt sein." Halfindel sah angespannt
in die Sterne. Dann sagte er: "Sie können nur zurück nach Süden
geritten sein. Wohin sonst, wenn nicht Süden? Hier draussen gibt es nichts,
wo sie sich verstecken könnten." "Wozu sollten sie sich verstecken
wollen? Sie haben unsere Pferde, unser Proviant und unsere Hoffnung gestohlen.
Es ist verrückt. Zum ersten Mal wünsche ich mir nichts sehnlicher
als ein Pferd!", sagte Bofur. Dann drehte er sich zu Radagast und erschrak.
"Wo ist der verrückte Zauberer denn jetzt schon wieder?"
Radagast kam geschäftig gerade aus der Hütte gelaufen und hielt eine
röhrenförmige Ledertasche in der Hand. Er summte vor sich hin, als
er diese mit dem feinen Sand zu ihren Füßen auffüllte und grinsend
wieder in der Hütte verschwand. Halfindel und Bofur sahen sich fragend
an. Kurz darauf erschien Radagast wieder und drückte die sandgefüllte
Lederrolle dem Elben in die Hand. "Halt dies mal, Halfindel", sagte
er in Gedanken und kramte einen Holzspan aus seinem Gewand. Dieser begann sofort
zu brennen und Radagast hielt den Span an den Sand in der Lederolle. Mit einem
Zischen begann dieser zu brennen. Hell erleuchtet sah man die Gesichter der
drei Wanderer. Radagast sagte triumphierend. "In der richtigen Mischung
ist dieses gelbe Zeug eine hervorragende Lampe. Das Zeug wird sehr lange brennen
und für den Notfall habe ich einen kleinen Vorrat mitgenommen. Machen wir
uns auf den Weg!"
Schnell hasteten sie den schweren Spuren der Pferde im Sand hinterher. Sie führten
tatsächlich nach Süden, zurück zum Turme der Wacht am Nurnenmeer.
Sogar Radagast legte ein enormes Tempo an den Tag, denn auch er kochte vor Zorn
über seine eigene Dummheit und sann auf Rache. Wenn auch auf eine Rache
unblutigerer Art, als vielleicht Bofur. Diesem juckten bereits die Finger wenn
er nur an den Augenblick dachte in dem er einen dieser maskierten Räuber
in die Hände bekäme. Plötzlich stieß Halfindel schnaufend
hervor: "Was ist eigentlich mit dem echten Krombadal? Wo ist er geblieben,
war er vielleicht noch in seinem Haus?" "Wir werden ohnehin dort vorbeikommen.
Und da wir es sowieso nicht viel weiter schaffen können ohne Rast, werden
wir uns dort ausruhen. Und Essen!", sagte Radagast dem seine Beine allmählich
doch noch müde wurden.
Die Sonne war bereits aufgegangen, als sie wieder die Hütte am See erreichten.
Die Tür stand immernoch weit offen. Mit letzter Kraft schleppten sich die
Drei in den Innenraum und ließen sich erschöpft auf die Bänke
fallen. Bofur und Radagast schliefen sofort ein. Nur Halfindel sah sich etwas
in der Hütte um. Das Essen lag noch immer auf dem Boden, der Stuhl, noch
immer umgekippt. Was ihm allerdings merkwürdig vorkam, war die Tatsache,
daß der Kleiderschrank fast völlig leergeräumt war. Es sah nicht
danach aus, als ob er durchwühlt worden war. Nein, es sah vielmehr danach
aus, als ob jemand in aller Ruhe seine Koffer für eine lange Reise gepackt
hätte. Halfindel runzelte die Stirn.
Einige Stunden später weckte er seine Gefährten und berichtete von
seiner Entdeckung. "Du willst damit wohl sagen, daß Krombadal in
die ganze Sache verwickelt ist?", sagte Radagast. Bofur sprang erzürnt
auf und rief: "Natürlich! Nur er wußte noch über das Buch
bescheid. Nur er weiß etwas damit anzufangen! Er ist es, der uns die finsteren
Gesellen auf die Fährte gesetzt hat." Radagast setzte sich betroffen
zurück und sagte: "Was mag er wohl mit diesem Buch anfangen wollen?
Und was mag mit ihm geschehen sein, daß er zu solch einer Tat fähig
ist?"
"Das wissen nur die Sterne", sagte Halfindel, "aber wir müssen
es verhindern, was auch immer er damit zu tun gedenkt! Immerhin haben wir es
ihm nach Mordor in seine Hände gebracht. Und keiner ist nun hier, den wir
um Hilfe bitten könnten. Mordor ist eine einsames und auch weit entferntes
Land. Nur wir allein vermögen es, den Lauf der Dinge nun abzuändern!"
Bofur sprang von seiner Bank auf und rief: "Laßt uns schnell zum
Turm der Wacht gehen. Dort könnten wir Pferde bekommen, und Proviant, eine
Karte vielleicht! Oder sogar Futter für meine Axt", fügte er
leise hinzu.
Der Weg zurück zum Turm kam ihnen schier endlos vor. Doch nach kurzer Zeit
hatten sie den inneren Kreis des Turmes erreicht und standen, zu allem bereit,
vor dem mächtigen Tor das den Eingang zum Turm verschloß.
"Macht auf und kommt heraus!", rief Radagast wenig freundlich. Sofort
wurde ein Laden am Turm aufgeriisen und eine dünne Stimme rief: "Verschwindet
von hier, oder die Wächter des Turms verden euch vernichten!"
Bofur sah verwundert zu Halfindel und sagte: "Seit wann wird man denn gewarnt?
Entweder geht jetzt das Tor auf und eine Schar von Turmwachen wird uns demonstrieren
zu was sie fähig sind, oder die Schlange da oben am Fenster hält uns
hin. Stecken die denn alle unter einer Decke?"
Bofur stellte sich breitbeinig vor die Tür und rief erneut:"Kommt
heraus! Und wenn ihr guten Geistes seid, wird euch nichts geschehen. Wir sind
im Auftrag des Königs hier und jeder der uns nicht hilft verstößt
gegen den Willen des Elbensteins!"
Doch nichts geschah. Die drei Abenteurer sahen sich verdutzt an, als Bofur plötzlich
begann, die Tür mit seiner Axt zu bearbeiten. Radagast stürzte hervor
und rief: "Das hat doch keinen Sinn, Bofur!", als sich die Tür
plötzlich mit einem krachen aus den Angeln hob und in tausend kleine Stücke
zerbrach. "So?", grinste Bofur den erschrockenen Zauberer an, und
trat in den Schatten des Eingangs. "Hereinspaziert, hier scheint es nämlich
keine Seele mehr zu geben, die uns davon abhalten will, oder kann."
Sie stiegen die unzähligen Treppen empor, nur um leere Zimmer und Kammern
zu entdecken.
(donnerstag, 13. oktober 1994)